Mit Spannung erwartet und bereits im Vorfeld hoch gelobt, feierte das kanadische Ensemble People Watching sein Berlin-Debüt mit Play Dead im Chamäleon Theater. Das Stück verspricht eine „neue Zirkussprache“ und bewegt sich zwischen Akrobatik, Bewegungstheater und surrealem Erzählen. Doch wird es diesem Anspruch gerecht?
Bruch mit alten Zirkuskonventionen
Schon in den ersten Minuten wird klar: Play Dead entspricht nicht den Erwartungen an einen klassischen Zirkusabend, sondern folgt dem Weg des Chamäleon Theaters, das sich seit Jahren dem zeitgenössischen Zirkus verschrieben hat. Es gibt keine spektakulären Solonummern, keine triumphalen Höhepunkte, kein rasantes Tempo. Stattdessen dominieren langsame, fast tranceartige Bewegungen, eine düstere Atmosphäre und ein Spiel mit Balance und Instabilität. Die Künstler bewegen sich manchmal in Zeitlupe, oft in entrückten Tableaus, die an alte Stummfilme erinnern. Diese Reduktion auf das Subtile ist mutig, verlangt dem Publikum jedoch auch einiges an Geduld und Offenheit ab.
Akrobatik als Mittel der Verwandlung
Technisch gibt es nichts zu bemängeln: Das Ensemble beweist akrobatische Meisterschaft, allerdings oft auf ungewöhnliche Weise. Statt klassischer Artistik wird Jonglage mit einem poetischen Rhythmus kombiniert, Teller drehen sich zitternd auf Stäben, Menschen balancieren auf Champagnerflaschen. Akrobatik wird hier nicht als purer Nervenkitzel eingesetzt, sondern als Ausdruck einer Welt im Wandel. Doch gerade dieser konzeptuelle Ansatz könnte manchen Zuschauer ratlos zurücklassen: Ist dies noch Zirkus, oder bereits Performancekunst?
Inszenierung zwischen Traum und Trübsinn
Die minimalistische Bühnenwelt mit barocken Möbeln und filmischer Lichtgestaltung wirkt stimmig und erzeugt eine traumhafte Atmosphäre. Der Soundtrack reicht von Tschaikowski bis Brenda Lee und unterstreicht die melancholische Stimmung des Abends. Doch hier zeigt sich auch die Kehrseite dieser inszenatorischen Entscheidung: So sehr Play Dead mit Intensität beeindruckt, so sehr bleibt es auch in seiner düsteren, fast bedrückenden Ästhetik gefangen. Ein gewisses Maß an Leichtigkeit oder Kontrastmomenten hätte der Inszenierung gutgetan.
Es steht außer Frage, dass Play Dead in der zeitgenössischen Zirkusszene ein Meilenstein ist. Die vielfachen Auszeichnungen und die bisherigen internationalen Erfolge sprechen dafür. Die Inszenierung beweist, dass Zirkus nicht länger nur Spektakel sein muss, sondern auch erzählende und reflektierende Elemente beinhalten kann. Dennoch bleibt die Frage, ob diese radikale Form der Abstraktion das gesamte Publikum erreicht. Wer auf Tempo, mitreißende Nummern oder klassische Akrobatik hofft, könnte sich hier unterfordert fühlen.
Fazit und allein die Meinung unserer Redaktion: Play Dead ist eine poetische, fordernde und kunstvolle Auseinandersetzung mit Verwandlung, Vergänglichkeit und dem Ungewissen. Es ist sicherlich nicht jedermanns Sache, aber genau darin liegt sein Reiz: Wer sich auf diese entrückte Zirkuswelt einlässt, erlebt einen ungewöhnlichen und anspruchsvollen Theaterabend.
Play Dead ist das erste Stück von People Watching und hat seit der Uraufführung im vergangenen Sommer für viel Aufsehen in der Zeitgenössischen Zirkusszene gesorgt: Beim Festival Quartiers Danses in Montréal wurde es mit dem Coup de Coeur Award ausgezeichnet; weitere Auftritte gab es beim Montréal Complètement Cirque Festival, dem Fresca 24 Festival in Alicante, dem Noorderzon Performing Arts Festival in Groningen und dem Hupstate Circus Festival in Ithaca, New York. Im September 2024 haben People Watching das Stück unter großem Jubel auf dem Düsseldorf Festival! vorgestellt.
Play Dead by People Watching
im Chamäleon Theater Berlin.
© Anna Fabrega