Ein gigantisches Baby, ein affektierter Junge und ein ertrunkener Mann heulen, sabbern, verzehren groteske, mit Scheiße, Kadavern, Flaggen und Masken belegte Sandwiches – und lernen nichts daraus. Eine namenlose Menschenmenge schlittert in ein Loch, unaufhörlich, oder stellt in choreografierter Formation Buchstaben nach. Ein karges, gelooptes Klavierstück des Komponisten Jürg Frey wird in einer Betonzelle aufgeführt, in einer Einsiedlerhütte, in einem hochsommerlich-bukolischen Garten. Wandtexte des Onlinemagazins „Contemporary Art Writing Daily“ reflektieren eine barbarische Wirklichkeit, die in dieser Ausstellung nicht auftaucht. Ein Abspann suggeriert ein Ende, das nie anfängt und Social-Media-Konzerne sponsern das Ganze, anscheinend ungebeten.
Ed Atkins ist einer der markantesten Vertreter einer Künstlergeneration, die sich mit der Allgegenwärtigkeit digitaler Medien auseinandersetzt. In seinen computergenerierten Filmen schafft er Welten von forcierter Künstlichkeit, deren ramponierte und einsame Protagonisten er hypergenau und in entwaffnender Nähe in Szene setzt. Seine Animationen stellen ihre digitale Beschaffenheit aus, zielen jedoch zugleich auf einen verstörenden Realismus. Atkins’ Arbeiten gehen unter die Haut und erzeugen ein mulmiges Gefühl von Fäulnis, von substanziellem Unbehagen an Material und Konzept, ähnlich wie schon die Vorstellung von „altem Essen“ eine Ahnung von verschwendetem Nutzen und verdorbener Güte aufkommen lässt.
Für den Martin-Gropius-Bau und das Programm Immersion entwickelt Atkins eine Serie neuer Arbeiten, die auf dem allegorischen Potenzial seiner spezifischen Videoästhetik aufbaut und sich in immer gewagtere Bereiche von Begehren, Historizität, Melancholie und Dummheit vortastet. Bekannt wurde Ed Atkins durch eine Reihe von Videoinstallationen mit CGI-Avataren, die durch Motion-Capture-Technik animiert sind und mit der Stimme des Künstlers sprechen. In seinen jüngeren Arbeiten führt er seine Erforschung des Mediums fort und koppelt affektive autobiografische Figurationen an Fragen, die durch die Macht des Digitalen aufgeworfen werden. Wo zuvor in Atkins’ Werk der Tod Voraussetzung für die Liebe und logischer Endpunkt jedes Repräsentationswillens war, stellt „Old Food“ ein weniger morbides und weitaus unromantischeres System vor. Wie ein Hamburger von McDonald’s wird „Old Food“ nie verderben, nie vermodern – er existiert einfach weiter und ist das Inbild einer melancholischen Welt, in der das, was verlorenging, niemals begriffen und erst recht nicht zurückgewonnen werden kann.
„Old Food“ ist Atkins’ bisher umfangreichste Installation und choreografiert auf Monitorwänden und Flat-Screens ein Kammerspiel, das auf dubiose Weise sentimental und historisch ungenau wirkt. Anders als viele von Atkins’ vorangegangenen Arbeiten ist „Old Food“ langsam – lahmgelegt und erschöpft von der eigenen offenkundigen Oberflächlichkeit. Und doch bewegt sich „Old Food“, taumelnd gefangen in einem schwermütigen Konzert, nach innen und außen abkippend.
Im Rahmen des Programms Immersion präsentieren die Berliner Festspiele Werke, die sich im Grenzbereich zwischen Ausstellung und Aufführung bewegen.
Ed Atkins „Old Food“
29. September bis 10. Dezember 2017
Martin-Gropius-Bau