18. April 2024

Wo Schabowski die Freiheit verkündete

Nach dem Umzug der Regierung von Bonn nach Berlin sind einige Dienstsitze neu errichtet worden, aber vor allem die Bundesministerien haben Gebäude mit geschichtsträchtigem Hintergrund bezogen. Unser Historien-Autor Harald Neckelmann weiß mehr über die historischen Gebäude von Familien-, Gesundheits- und Justizministerium in Berlin-Mitte und führt uns heute in die Mohrenstraße 36-39. Hier fand 1989 die berühmte Pressekonferenz der DDR mit Günther Schabowski statt.

Teil 2


Mohrenstraße 36-39
Prunkvoll verziert das ehemalige Kaufhaus Stern um 1902.
Prunkvoll verziert das ehemalige Kaufhaus Stern um 1902.
Foto: aus Blätter für Architektur und Kunsthandwerk 14.1901, Tafel 71

Im Jahr 2002 wird das Bundesministerium der Justiz eingeweiht. De neuer Dienstsitz liegt in einem Gebäudeensemble mitten im alten Berliner Konfektionsviertel am Gendarmenmarkt. Der Block, begrenzt durch Mohren-, Jerusalemer- und Kronenstraße, besteht aus Bauten unterschiedlicher Epochen, die durch Neubauten ergänzt und zusammengefasst wurden. Neben den barocken Mohrenkolonnaden von Carl Gotthart Langhans von 1787, der auch das Brandenburger Tor gebaut hat, finden sich auf dem Areal vier um die Jahrhundertwende erbaute Warenhäuser: Haus Nagel, der Prausenhof, Haus Muthesius und Haus Stern. Sie standen bis zur Enteignung durch die Nazis in jüdischem Besitz, hier wurde sowohl produziert als auch verkauft.

Der Haupteingang des Ministeriums führt durch eine Hälfte der restaurierten Mohrenkolonnaden vor dem Prausenhof, dessen Fassade zur Mohrenstraße aus der Bauflucht zurückspringt. Durch die Kolonnaden betritt man das Zentrum der Anlage, den mit einem Glasdach überspannten Repräsentationshof. Indem die Stahlskelettkonstruktion des Hauses sichtbar bleibt, hat sich etwas vom Werkstattcharakter im Inneren des Prausenhofes erhalten. Er wurde 1914 von Ludwig Otte für den Handelsrichter Oswald Prause errichtet. An ihren Hoffassaden finden sich noch immer jene glasierten Ziegel, die für die Berliner Gewerbehinterhöfe typisch waren.

Mohrenkolonnaden
Blick auf die ehemaligen Mohrenkolonnaden.
Blick auf die ehemaligen Mohrenkolonnaden.

Die Mohrenkolonnaden säumten als barocke Säulengänge ursprünglich die Brücke über den Graben der Festung Berlin. Deren Anlagen wurden im 19. Jahrhundert beseitigt. Sie führten von der neuen Friedrichstadt zum Schlossbezirk. Der Graben wurde zugeschüttet und so verschwand auch der Gestank des schlammigen Brackwassers. Die Kolonnaden stehen heute als Vorbauten der beiden gegenüberliegenden Gebäude. Auch die Spittel- und Königskolonnaden existieren noch, aber nicht mehr an ihrem ursprünglichen Platz. Einst genutzt als Brückenhallen mit Verkaufsständen, dienen sie heute lediglich als Schmuckelemente.

Der Innenhof in der Mohrenstraße 38-39.
Der Innenhof in der Mohrenstraße 38-39.

Eine Installation im Eingangsbereich des Justizministeriums erinnert an die historische Pressekonferenz am 9. November 1989. Auf ihr gab Günther Schabowski wie beiläufig die Reisefreiheit für alle DDR-Bürger bekannt. Das Internationale Presseamt war im Haus Stern untergebracht, das von Carl Bauer 1901 entworfen bis 1938 der jüdischen Familie Stern gehörte. Nutzer waren die Firma Graumann & Stern Damenmäntel und andere Konfektionsbetriebe. Von dem Traditionsbau blieb nur die Jugendstilfassade von Otto Rieth an der Mohrenstraße erhalten.

Die Fassade mit den Rundbögen in der Mohrenstraße 36 erinnern noch an das alte Kaufhaus.
Die Fassade mit den Rundbögen in der Mohrenstraße 36 erinnern noch an das alte Kaufhaus.
Fotos: Harald Neckelmann

Auf Nachfrage eines Korrespondenten, ab wann das neue Reisegesetz gelte, meinte Schabowski lapidar: „Sofort, unverzüglich.“ Diese Sätze waren die Initialzündung für den Mauerfall, viele sehen dieses Ereignis als entscheidend für den Untergang der DDR an. Das Presseamt einschließlich des Saales wurde abgerissen. Der Grund: In den Hof des ehemaligen Warenhauses eingebaut, verdunkelte der dreistöckige Saal die umliegenden Büroräume.


Journalist und Autor Harald Neckelmann lebt und arbeitet als Sachbuchautor, Dozent und Stadtführer in Berlin. Er hat bereits mehrere Bücher zur Geschichte und Gegenwart der Stadt veröffentlicht (u. a. „Unter den Linden“, „friedrichstraße berlin“). „Ab durch die Mitte“ führt durch Berlins historische Stadtviertel.

Teil 1