Was verbindet eine italienische Sänfte aus dem 18. Jahrhundert mit einem chinesischen Lotosschuh und Kunstwerken, die Szenen der Arbeit und Jagd, des Spiels und Sports darstellen? Sie alle erzählen von den Möglichkeiten und Zwängen, den eigenen Körper zu bewegen und zeugen vom Status der abgebildeten Personen. „STATUS MACHT BEWEGUNG“ beleuchtet das Potenzial der Bewegung als Mittel der Statusrepräsentation über zeitliche, geografische und kulturelle Räume hinweg. Nach „Bart“ (2015/16) und „Fleisch“ (2018) ist dies das dritte übergreifende Ausstellungsprojekt der Nachwuchswissenschaftler*innen von 15 Sammlungen und Instituten der Staatlichen Museen zu Berlin.
Zwänge und Privilegien
Bewegung ist nicht einfach nur körperliche Aktivität. In der Art, wie sich Menschen bewegen, stellen sie für alle sichtbar ihren sozialen Status dar. Dabei ist der Ausdruck des gesellschaftlichen Rangs in der Bewegung auch immer den in der jeweiligen Zeit geltenden Gesellschaftsnormen unterworfen. Das Formenspektrum reicht hierbei von Freiheiten über Privilegien und Verbote; es schließt zeitweilige und dauerhafte Veränderungen des Körpers ebenso ein wie die feinen Unterschiede in der Bewegungspraxis. So war in Europa lange Zeit die Jagd ein Privileg des Adels, im alten Mesopotamien war die Löwenjagd das alleinige Vorrecht des Königs. Im antiken Griechenland herrschte die Vorstellung, dass schöne Menschen auch besonders gut und tüchtig waren. Dies machte den athletischen Körperbau – ein damaliges Schönheitsideal – zum Ausweis besonderer Fähigkeiten. Training bedeutet aber nicht automatisch eine Reduktion des Körperumfangs, wie sich an sportlichen Aktivitäten wie dem Ringen im Iran oder dem Sumosport in Japan zeigt. Es wird deutlich: Gesellschaftliche Vorstellungen drücken sich je nach Kontext in Bewegung und Körpern aus.
Fünf Sektionen
Wie vielfältig das Potenzial von Bewegung als Zeichen von Status ist, beleuchtet die Ausstellung anhand fünf ausgewählter Sektionen. Den Auftakt bildet das Kapitel Arbeit als Grundlage: Objekte und Bilder aus dem Arbeitsleben lassen Formen der Bewegungen im Fokus stehen, die der Existenzsicherung dienen. Bewegung im Kontext der Arbeit, wie gefährliche Fernreisen auf Handelswegen oder harte Arbeit im Bergbau, wurde und wird nicht als positive Demonstration von Status gesehen. Allerdings können ähnliche Bewegungs- und Körperformen in anderen Kontexten als erhebend und elitär angesehen werden. Gesellschaftliche Vorstellungen sind daher immer auch an die soziale Stellung der Personen gekoppelt, die sie ausführen. So reisen Karawanen seit Jahrtausenden über Kontinente, ohne das Prestige einer luxuriösen Fernreise zu haben, auch musste gejagt werden, um die eigene Existenz zu sichern.
Diese Ambivalenz stellt das zweite Kapitel der Ausstellung Auf zur Jagd! in den Fokus: Die Jagd als Grundsicherung wird der Jagd als prestigeträchtige Tätigkeit gegenübergestellt. Ursprünglich ein wesentlicher Bestandteil der Lebensversorgung, entwickelte sie sich im Lauf der Jahrtausende zu einem Symbol von Status und Macht: Nach der Sesshaftwerdung der Menschen war die Jagd zwar nicht mehr zwingend notwendig, blieb aber weiterhin ein Bestandteil der Ernährung. Doch nicht nur das: Im Alten Ägypten dienten rituelle Jagdszenen wie die auf der Rückseite eines ausgestellten Skarabäus dazu, den Pharao in seiner Rolle als Beschützer zu präsentieren und somit als Herrscher zu legitimieren. Darüber hinaus wurde der Sieg über das erlegte Wildtier auch als Unheil abwehrendes Zeichen verstanden. Im europäischen Mittelalter wiederum wurden zahlreiche Gebiete mit einem Wildbann belegt: Hier war sodann nur noch dem Adel gestattet, zu jagen. Die Jagd entwickelte sich – noch mehr als etwa in Mesopotamien oder der griechisch-römischen Antike – zu einem Zeitvertreib der Oberschicht, die sich hier im direkten Wettkampf messen und so von anderen sozialen Schichten abheben konnte.
Dass sich der Wunsch nach Darstellung des eigenen gehobenen Standes nicht nur im Aussehen und im Zeitvertreib kristallisierte, wird im Kapitel Stilvoll unterwegs veranschaulicht. Eine italienische Sänfte von 1720 aus der Sammlung des Kunstgewerbemuseums stellt hierbei ein Paradebeispiel dar: Nicht nur die handwerkliche Ausführung sowie das reiche und wertvolle Dekor imponierten, sondern auch ihre Funktion. Es bedurfte nämlich nicht nur der finanziellen Mittel zur Beschaffung eines derart gestalteten Fortbewegungsmittels, sondern auch der notwendigen personellen Ressourcen. Demnach ist das Reisen mit Sänfte ein Statussymbol in seiner reinsten Form, da durch sie der eigene Stand sichtbar gemacht werden konnte indem der oder die Getragene sich über die Tragenden erhob und sich fortbewegte, ohne sich bewegen zu müssen. Noch heute kann die Fortbewegung, je nach Transportmittel, auf einen gehobenen sozialen Status verweisen.
Doch Status drückt sich nicht nur in elitären Aktivitäten oder einer besonderen Form von Fortbewegung aus. Auch im Kontrast zeigen sich Rang und Name, nämlich in der Möglichkeit zum süßen Nichtstun. Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert mussten große Teile der Bevölkerung von morgens bis abends in den neu entstandenen Fabriken arbeiten, freie Zeit blieb da kaum. In dieser Zeit entwickelte sich aber auch das Konzept von Freizeit als Gegenentwurf zur Arbeit. Die wohlhabende Bevölkerungsschicht ersann hierfür neue Formen des Zeitvertreibs: Urlaub in mondänen Seebädern und der ausschweifende Spaziergang in herausgeputzter Kleidung wurden en vogue. Die Spazierenden machten auf diesem Weg deutlich, dass sie es sich erlauben konnten, nicht arbeiten zu müssen. Aber auch Spiele zum Zeitvertreib genossen während dieser Epoche einen regelrechten Hype.
Bewegung oder Nichtstun drücken sich direkt im menschlichen Körper aus, der damit zur Inszenierung von Status untrennbar beiträgt. Das abschließende Kapitel der Ausstellung widmet sich daher der Körper(ver)-formung. So konnten sich etwa die Athleten des antiken Griechenlands durch sportliche Erfolge und neue Rekorde unsterblich machen, beispielsweise in Form der Verewigung in einer Statue. Dazu bedurfte es jedoch täglichen Trainings zur Optimierung der eigenen Kräfte. Daher konnte es sich auch nur die wohlhabende Oberschicht leisten, das Gymnasion zu besuchen und an den regelmäßigen Wettkämpfen teilzunehmen. Ein gut durchtrainierter Körper sorgte schließlich für das gesteigerte Ansehen. Der eigene Körper ist noch heute eine geeignete Leinwand, um den eigenen gesellschaftlichen Status zu repräsentieren: Fitnessstudios haben Hochkonjunktur, die sozialen Medien sind voll mit Selfies, auf denen durchtrainierte Körper präsentiert werden.
Aus dem Bestand
Die Staatlichen Museen zu Berlin präsentieren mit der Ausstellung nahezu ihr gesamtes Potenzial als Universalmuseum. Die Objekte und Werke stammen aus 14 Sammlungen – dem Ägyptischen Museum und Papyrussammlung, der Antikensammlung, dem Ethnologischen Museum, der Gemäldegalerie, der Kunstbibliothek, dem Kunstgewerbemuseum, dem Kupferstichkabinett, dem Museum für Asiatische Kunst, dem Museum Europäischer Kulturen, dem Museum für Islamische Kunst, dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, der Skulpturensammlung und Museum für Byzantinische Kunst, und dem Vorderasiatischen Museum – sowie aus der Gipsformerei und dem Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung. Sie veranschaulichen, wie die vielseitigen Bestände neue Blickwinkel und Einblicke in virulente gesellschaftliche Diskurse gewähren.
Die Corona-Pandemie, die die Bewegungsfreiheit aller Menschen in den letzten Monaten stark eingeschränkt hat und weiter einschränkt, beeinflusste auch die Genese der Ausstellung. So erzählen die präsentierten Objekte nicht nur Geschichten aus der Vergangenheit und stellen Verbindungen zwischen verschiedenen Kulturen her, sie zwingen uns auch dazu, über unseren bisherigen, aktuellen und künftigen Begriff der Bewegung nachzudenken.
STATUS MACHT BEWEGUNG. Lust und Last körperlicher Aktivität
11. September 2020 – 10. Januar 2021
Kulturforum, Sonderausstellungshalle
Matthäikirchplatz 6, 10785 Berlin
Öffnungszeiten: Di – Fr 10 – 18 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr
Eine Sonderausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin