14. Oktober 2024

Einkaufen muss ein Erlebnis sein

Der Handel hat eine gesellschaftliche Verantwortung, sagt Nils Busch-Petersen. MITTE bitte! hat mit dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg gesprochen und ihn zur aktuellen Situation im Berliner Einzelhandel befragt.

Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg.
Nils Busch-Petersen, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg.
Foto: Peter Adamik

Herr Busch-Petersen, sind Sie zufrieden mit dem Berliner Einzelhandel?

Durchaus. Seit 2006 geht der Umsatz – von einem kleinen Knick wegen der Finanzmarktkrise 2009 mal abgesehen – stetig bergauf. Höchste Dynamik hat der Onlinehandel, doch auch beim stationären Handel verzeichnen wir nominale und reale Zuwächse.

Woran liegt es?

Da möchte ich mehrere Faktoren nennen. Berlin wächst rasant und wer herkommt, hat meist ein gutes Einkommen und damit kommt Kaufkraft in die Stadt. Zum anderen profitiert Berlin von Brandenburg und nicht zuletzt stabilisieren die Touristen in erheblichem Maße die wirtschaftliche Lage im Einzelhandel. Jeder Tourist lässt im Durchschnitt 40 bis 50 Euro pro Übernachtung in den Geschäften der Stadt. Bei rund 30 Millionen Übernachtungen jährlich ist das eine Summe, die sich sehen lassen kann. Trotzdem möchte ich nicht verschweigen, dass die Kaufkraft in Berlin zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liegt.

Drängt der Onlinehandel den Einzelhandel in die Ecke?

Der Anteil des Online-Geschäftes beträgt in der Hauptstadt rund 13, bundesweit 10 Prozent. Das heißt, rund 87 Prozent des Umsatzes gehen in Berlin immer noch über den Ladentisch. Der stationäre Handel behauptet sich nach wie vor. Wobei wir den Onlinehandel differenziert sehen müssen. So sind es im Nonfood-Bereich durchaus bis zu 30 Prozent, bei Lebensmitteln gerade mal ein Prozent, auch wenn uns die vielen Bringedienst-Lieferfahrzeuge im Stadtbild etwas Anderes suggerieren.

Shopping Mall in der Leipziger Straße.
Shopping Mall in der Leipziger Straße.

Dennoch – kann der stationäre Handel mit dem Onlinehandel überhaupt mithalten?

Ja, ich bin fest davon überzeugt. Das Netz ist für viele Kunden eine wichtige Informationsquelle. Rund zwei Drittel machen sich online kundig, gehen aber dann doch ins Geschäft. Zudem basiert der Onlinehandel auf einem alten bekannten Vertriebskanal, dem Katalog-Versandhandel. Der hatte übrigens in den 1950er Jahren auch einen Marktanteil von 10 Prozent. Heute sind es die neuen technologischen Möglichkeiten, die den Onlinehandel wettbewerbsfähig und erfolgreich machen.

Wie kann der Einzelhändler erfolgreich und wettbewerbsfähig sein?

Unsere Einzelhändler sind nicht nur schlechthin Versorger. Sie sind auch Bedürfnisbefriediger, Spaßmacher, Innenstadt-Animateure, leisten also einen wichtigen Beitrag fürs gesellschaftliche Leben. Seit Jahrtausenden sorgt der Handel für urbanes Leben und er ist ein wichtiger Grund, warum Städte überhaupt entstanden sind. Der Mensch ist ein soziales Wesen, hat Bedürfnisse, braucht Begegnungen, Interaktion. Das funktioniert im stationären Handel einfach besser als in der virtuellen Welt. Die Einzelhändler müssen den Online-Handel als Chance und nicht als Gegner sehen.

Berlins Einkaufsstraßen - dazu gehört auch die Friedrichstraße in Mitte.
Berlins Einkaufsstraßen – dazu gehört auch die Friedrichstraße in Mitte.

Wie kann das funktionieren?

Mit Digitalisierung. Sie ist eine große Herausforderung auch für den stationären Handel. Jeder Kaufmann muss Chancen und Risiken, die sich daraus ergeben, für sich nutzbar machen. Wer das nicht tut, ist weg vom Fenster. Das heißt, Kommunikation, Kundenbindung und Ladengestaltung bekommen ein völlig neues Gesicht. Dabei ist klar, dass der Einzelhändler nicht auf die Strategien der Großen setzen kann. Er muss es über seine Unverwechselbarkeit schaffen, muss sein Angebot schöner machen. Einkaufen muss Erlebnis sein.

Das ist schwierig, wenn große Handelsketten dominieren und die Städte uniform machen.

Die Warenwelt ist globalisiert, das können wir nicht ändern. Wir können aber das Besondere schaffen. Der Markt ist sensibel und spürt, wenn der Kunde gern etwas Anderes hätte. So bahnt sich neben der Uniformität auch Individuelles und Kreatives seinen Weg. Ich bin da sehr zuversichtlich, denn es geht – und das ist historisch belegt – nie in einer Richtung.

Gibt es Beispiele dafür?

Für das Spezifische stehen zum Beispiel die vielen kleinen Feinkost- und Spezialitätengeschäfte oder auch die vielen kleinen Craftbier-Brauereien. Jeder Supermarkt bemüht sich inzwischen, regional gebraute Biere in großer Vielfalt anzubieten. Überhaupt bricht sich immer mehr Regionalität im Einzelhandel Bahn. All das gab es vor zehn Jahren nicht. Ich freue mich auch über die Renaissance der kleinen Buchläden, die schon mehrfach totgesagt wurden. Und selbst Online-Händler machen inzwischen feste Läden auf. Das heißt, der Markt ist ständig in Veränderung. Gerade in Berlin hat er sich schon immer verändert. Schauen Sie sich die Leipziger Straße an. Sie war mal die bedeutendste Einkaufsstraße Berlins mit den Kaufhäusern wie Wertheim und Tietz.

Heute ist dort die Mall of Berlin. Sind denn große Shoppingcenter noch zeitgemäß?

Ja sicher, so lange sie von den Kunden angenommen werden. Und das tun sie. Berlin hat 67 Shopping-Center mit einer Gesamtverkaufsfläche von rund 1.455.480 Quadratmetern und ist damit Spitzenreiter in Deutschland. Und es werden noch einige hinzukommen. Doch auch sie werden veränderten Kundenbedürfnissen Rechnung tragen müssen.

Das heißt, die Verkaufsfläche in Berlin wächst weiter?

Berlin hat gegenwärtig rund 4,5 Millionen Quadratmeter Verkaufsfläche. Für mehr Wettbewerbsfähigkeit brauchen wir nicht unbedingt mehr, sondern vor allem bessere Flächen. Ich denke dabei an Verweilzonen, ein kleines Café, Sitzgelegenheiten auch in einem modernen Supermarkt. Einkaufen muss angenehm und barrierefrei möglich sein. So sollten Gänge nicht mit Waren vollgestellt sein, sondern Rollator und Kinderwagen sollten bequem aneinander vorbeirollen können. Damit tragen wir auch dem demografischen Wandel Rechnung, der eng mit der Digitalisierung verknüpft ist.

Sie spielen auf das Qualitätszeichen „Generationsfreundliches Einkaufen an“?

Der Handelsverband Deutschland hat diese Initiative gemeinsam mit Unternehmen des Einzelhandels, mit Verbänden und Institutionen 2010 ins Leben gerufen. Bisher sind rund 1000 Geschäfte in Berlin und Brandenburg mit diesem Qualitätsmerkmal zertifiziert, was von den Kunden sehr gut angenommen wird. Ich selbst war damals skeptisch, ob dieses Engagement Erfolg haben wird. Ich habe mich geirrt. Sehr gut finde ich übrigens den Ansatz der Discounter, neue Filialen mit angeschlossenen Wohnungen zu bauen. Das ist für mich eine positive Reaktion auf das wachsende Berlin und Ergebnis längerer Debatten im Handelsverband.

Nicht nur die Berliner wollen auch am Sonntag shoppen.
Nicht nur die Berliner wollen auch am Sonntag shoppen.
Foto: johannes vortmann/pixelio.de

Klingt alles sehr positiv und zukunftsorientiert, doch in Sachen Sonntagsöffnung ist Berlin nach wie vor hinterwäldlerisch?

Das stimmt. Während es von Montag bis Freitag keine gesetzlich geregelten Ladenöffnungszeiten mehr gibt und jeder Kaufmann sein Geschäft von montags 8 Uhr bis sonnabends 24 Uhr öffnen kann, wann er möchte, bleiben Geschäfte sonntags und feiertags  grundsätzlich geschlossen. Das passt überhaupt nicht zu einer weltoffenen europäischen Metropole und macht eine Stadt, die sich unter den Top drei der europäischen Tourismusziele etablieren möchte, nicht wirklich attraktiv. Sonntags machen andere Städte wie London, Madrid, Paris den Hauptumsatz im Städtetourismus Es gibt nur zwei europäische Länder in Europa, die derart regulierend eingreifen. Das sind Deutschland und die Schweiz.

Dennoch hat die Gewerkschaft ver.di Ende vergangenen Jahres gegen drei vom Senat festgelegten verkaufsoffenen Sonntage für 2018 geklagt.

Wir haben in Berlin zehn verkaufsoffene Sonntage, davon acht landesweite, und die haben in den vergangenen elf Jahren auch immer erfolgreich funktioniert – bis jetzt. Die Klage von ver.di zielte auf die Sonntage 28. Januar, 18. Februar, 11. März 2018. Das Oberverwaltungsgericht hatte im Januar jedoch kurzfristig entschieden, dass die Sonntage bleiben. Ich hoffe sehr, dass das auch bis zur Entscheidung in der Hauptsache des Verfahrens Bestand haben wird. Meiner Ansicht nach richtet sich die Klage nicht schlechthin gegen den Einzelhandel, sondern vor allem auch gegen die Beschäftigten. Fallen die Sonntage weg, verlieren sie mehr Nettogehalt, Zulagen, Freizeitausgleich und übers Jahr gesehen, ein Viertel ihres Monatseinkommens. Das sehen auch viele Mitarbeiter so und wenden sich hilfesuchend an den Verband. Im Übrigen sprechen 2000 geöffnete Läden zur Grünen Woche eine eigene Sprache.

Welche Händler sind eigentlich im Einzelhandelsverband zusammengeschlossen?

Kleine Geschäfte, Warenhäuser, Discounter, Supermarktketten, also alle, die Waren an Endverbraucher verkaufen. Sie decken in Berlin und Brandenburg etwa 80 Prozent des Umsatzvolumens stationär und online ab. Die Mitgliedschaft ist freiwillig.

Wie steht es um den Nachwuchs im Einzelhandel?

Wir haben Nachwuchssorgen und müssen auch als Verband jungen Menschen deutlicher die Perspektiven im Handelsberuf aufzeigen. Denn er ist spannend, vielseitig und es gibt gute und schnelle Entwicklungsmöglichkeiten. Wir bieten gegenwärtig drei hochwertige Berufsbilder an: Kaufrau/mann im Einzelhandel, Verkäufer/in und ab diesem Jahr auch Kauffrau/mann im e-commerce. Wir brauchen junge Mitarbeiter, die auf der Höhe der Zeit sind, sich kaufmännisch auch im Internet und Online-Handel auskennen. Ich bin sicher, dass es eine rege Nachfrage geben wird. Zudem ist unser großer Vorteil die duale Ausbildung. Sie ist grandios und einzigartig.

Wie sehen Sie die Zukunft des Handels?

Der Handel wird sich nach wie vor rasant entwickeln und verändern. Vor allem erwarte ich starke Veränderungsprozesse im Online-Lebensmittelhandel. Noch verdienen die Händler damit kein Geld. Aber aufgrund von Erfahrungen in den letzten Jahren bin ich überzeugt, dass sich auch in diesem Segment Neues Bahn brechen wird. Auch der Trend zu mehr Regionalität wird sich fortsetzen. Und wir als Verband haben die Aufgabe, deutlicher zu machen, welchen Beitrag der Einzelhandel für das gesellschaftliche Leben leistet. Wir sehen uns als Bestandteil der touristischen Infrastruktur und deshalb möchten wir als Händler juristisch so behandelt werden wie die Kollegen von der Gastronomie. Das heißt auch, keine Reglementierungen mehr beim Sonntag als Verkaufstag. Für die Händler sind sie existenziell. Die jetzige Situation ist für mich nicht mehr zeitgemäß.

Der Kunde ist König – ist das noch immer so?

Ja, und er wird es immer mehr. Je heftiger der Markt, desto mehr wird um Ihre Majestät gestritten und gerungen. Wer nicht vom Kunden her denkt, der hat im Handel keine Perspektive. Alternativen gibt es da nicht.

Herr Busch-Petersen, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Bärbel Arlt.