Berlin oder Havanna, Chemnitz oder St. Petersburg, Kenia oder Guatemala – seit zehn Jahren spürt der Berliner Fotograf Jean Molitor mit seiner Kamera in der ganzen Welt Architektur im Stil der Moderne auf. Das Spektrum reicht von Wohnhäusern, Fabrikgebäuden über Sportanlagen, Hotels und Schulen bis hin zu Kinos und Tankstellen. MITTE bitte! hat mit ihm gesprochen.
Herr Molitor, wo entflammte Ihr Bauhausfieber?
Schlüsselerlebnis war ein Auftrag im ostafrikanischen Burundi. In der Hauptstadt fotografierte ich Häuser, die vom Abriss bedroht waren. Daraus sind eine Ausstellung und ein Kalender entstanden, die sehr viel Anklang fanden. Das hat mich motiviert, nach weiteren Spuren zu suchen. Es folgte zunächst eine Reise in den Kongo, danach in die russische Satellitenstadt Magnitogorsk, wo der Funke dann überschlug und die Idee zum Projekt „bau1haus“ geboren wurde.
Ein Projekt, das Sie in bisher rund 30 Länder führte. Woher wissen Sie, welche Bauten wo stehen?
Durch Recherche im Internet, durch Gespräche mit den Menschen vor Ort. Das ist für mich wie eine Abenteuerreise. Anfangs war alles ziemlich zufällig und spontan. Auch dachte ich damals, alles sei Bauhaus. Heute weiß ich mehr und sehe mein Projekt als eine Sammlung der Klassischen Moderne mit ihren vielen verschiedenen Ausprägungen. Denn nicht alles, was Moderne ist, ist Bauhaus. Da gibt es Art deco, de Stijl, Futurismus, Rationalismus, Konstruktivismus, Streamline. Ich vergleiche es gern mit einer Patchwork Familie. Auch habe ich inzwischen ein recht gut funktionierendes weltweites Netzwerk, das mich unterstützt und auf besondere Bauten aufmerksam macht.
Was ist das Besondere an Ihren Fotos?
Sie sind sachlich, nüchtern, klassisch wie die Architektur der Klassischen Moderne selbst – und schwarz-weiß. Ich schaue mir die Häuser genau an, ihre Formen, erkenne Gesichter und Charakter. Mir ist wichtig, die Gebäude zeitlos zu fotografieren – möglichst ohne Verkehr, ohne Menschen. Wobei mir die Menschen generell sehr wichtig sind, führen sie und ihre Erzählungen mich doch zu vielen Gebäuden. So habe ich zum Beispiel in Nairobi und Kisumu von indischen Vierteln erfahren, die entstanden sind, als die Briten die Uganda-Bahn bauten. 30.000 Inder kamen damals ins Land, bauten nicht nur die Bahn, sondern auch Häuser und brachten damit den europäischen Zeitgeist nach Afrika.
Was ist das Ziel Ihrer fotografischen Weltreise?
Ich möchte eine vom Bauhaus und dem Geist jener Epoche inspirierte weltweite Architektur dokumentieren und archivieren. Oft ist das ein Wettlauf mit der Zeit und gegen das Vergessen. Manchmal habe ich Sorge, zu spät zu kommen. Denn nicht immer und überall wird dieses architektonische Erbe in seiner Einzigartigkeit erkannt, geschätzt, restauriert. Oft sind die Gebäude von Verfall und Abriss bedroht. Ich weiß, dass meine Fotos sie nicht retten können, aber ich kann sie damit zumindest fotografisch erhalten.
Haben Sie sich mit ihrem Kunstprojekt auch selbst verändert?
Sagen wir mal so, es hat sich sehr viel Fachwissen angelagert und ich setze mich mehr als vor diesem Projekt mit der Geschichte auseinander. Sie ist für mich plastischer geworden, Veränderungen in der Welt sind immer mit vielen Faktoren und Ereignissen verknüpft. Bauhaus zum Beispiel war auch die Zeit der Ozeandampfer und Zeppeline. Globalität ist keine Erfindung der Neuzeit. Auch durch die Münchner Architekturhistorikerin Dr. Kaija Voss, mit der ich seit meiner ersten „Bauhaus“-Ausstellung 2016 im Haus Schulenburg in Gera eng zusammenarbeite, habe ich viele Zusammenhänge kennen- und verstehen gelernt. Aus dieser Zusammenarbeit sind auch die beiden Bücher „bau1haus – die moderne in der welt“ vom Hatje Cantz Verlag sowie „Bauhaus – eine fotografische Weltreise“ vom be.bra-Verlag im vergangenen Jahr erschienen.
Hört mit dem Bauhaus-Jubiläum in diesem Jahr ihre „Sammelleidenschaft“ auf?
Keineswegs. Eigentlich geht es erst los. Ich habe zwar schon rund 350 Gebäude in 30 Ländern fotografiert, aber das ist nur ein sehr geringer Fundus, den ich persönlich auf nur zwei bis drei Prozent schätze. Auf meiner Liste stehen insgesamt 110 Länder. Es gibt weltweit also noch sehr viel zu entdecken. Doch es geht mir künftig nicht mehr nur darum, die Gebäude zu fotografieren, sondern ihre Geschichte zu recherchieren: Wer hat die Häuser gebaut, wann und für wen wurden sie gebaut? Das ist spannender als ein guter Krimi!
Erst kürzlich ist in Berlin Ihre sehr erfolgreiche Ausstellung „bau1haus – Die Moderne in der Welt“ im Willy-Brandt-Haus zu Ende gegangen. Wann und wo werden wir wieder Ihre Fotografien bestaunen können?
Vom 20. August bis 27. September zeigt in Berlin die Rosa-Luxemburg-Stiftung die Ausstellung „bau1haus – die Moderne zwischen Deutschland und Israel“ und die Staatsbibliothek vom 30 August bis 29. September die Ausstellung „bau1haus trifft Hans Scharoun“. Darüber hinaus gibt u.a. aktuell und in den kommenden Wochen und Monaten auch Ausstellungen in Chemnitz im Museum für Archäologie, in der Handelskammer Hamburg und im Kulturzentrum Gasteig in München. Und sehr freue ich mich auch auf die Ausstellung „bau1haus und die Moderne in Kuba“, die in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut im November in Havanna zu sehen sein wird.
Vielen Dank für das Gespräch!
Fotograf Jean Molitor wurde 1960 in Berlin geboren, studierte künstlerische Fotografie an der Leipziger Hochschule für Grafik bei Arno Fischer. Seit 1994 ist er freischaffender Künstler, Filmproduzent und Fotograf für Magazine, Zeitungen und Industrie.
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Das Interview führte Bärbel Arlt.