19. März 2024
Sieben Jahre unterquerte die Straßenbahn die Strecke Unter den Linden.

Berliner Geheimnisse: Der Lindentunnel

Unsere Hauptstadt verbirgt so manches Geheimnis, das sich nicht auf den ersten Blick zu erkennen gibt. Unser Historien-Autor Harald Neckelmann führt uns durch die geheimnisvolle und manchmal auch kuriose Berliner Geschichte. Heute: Der unterirdische Lindentunnel.

Der Lindentunnel: „Drunter durch“

Auch heute noch quert ein nicht sichtbarer Straßenbahntunnel den Boulevard Unter den Linden, die Straßenbahn nutzte ihn jedoch nur sieben Jahre.

Seit 1870 wollten die Berliner Straßenbahngesellschaften mit einer Pferdebahn quer über den Prachtboulevard fahren. Sie brauchten eine Nord-Süd-Verbindung. Im Alten Palais am heutigen Bebelplatz residierte Kaiser Wilhelm I. Er wehrte sich dagegen, dass in seiner Nähe der „repräsentative Charakter der Linden“ gestört wird. Die Kabel der Oberleitung hätten den Boulevard verschandelt.

Erst Kaiser Wilhelm II., sein Nachfolger, machte 1894 die Strecke möglich. Im Norden führte sie zwischen Universität und Neuer Wache durch, entzweigte sich unter dem Boulevard und passierte im Süden die Staatsoper zu beiden Seiten.

Problematisch wurde es, als man die Strecke elektrifizierte. Aus ästhetischen Gründen ersetzte man die oberirdische Stromzuleitung auf der „Linden“-Kreuzung durch eine Unterleitung im Straßenpflaster. Für den Schaffner war dies ein technisch kompliziertes und störanfälliges Verfahren. Deshalb entschied der Kaiser schließlich: „Drunter durch, nicht drüber weg“.

Der Lindentunnel ist 193 Meter lang.
Der Lindentunnel ist 193 Meter lang.

Er ließ den 193 Meter langen Lindentunnel bauen, der 1916 fertig war und noch heute existiert. 1923, als eine viel schnellere U-Bahnlinie vom Halleschen Tor zur Seestraße führte (die heutige U6), wurde die Tunnellinie als unrentabel eingestellt. Die Zufahrtsrampen schüttete man nach und nach zu. Eine Zeitlang nutzte die Staatsoper den Tunnel als Kulissenlager, später diente er Kunstprojekten. Der Nazi-Architekt Albert Speer probierte hier neue Tunnelbeleuchtungen aus, die Volkspolizei stellte Fahrzeuge unter und nach der Wende entdeckte man einen Schaltraum für Überwachungskameras.

Wie von Geisterhand
Der Aufzug zum Kulissenlager des Gorki-Theaters.
Der Aufzug zum Kulissenlager des Gorki-Theaters.
Fotos: Harald Neckelmann

Heute ist der Tunnel teils in der Tiefgarage unter dem Bebelplatz aufgegangen. Eine der Straßenbahnrampen dient als Zufahrt. Dort nutzt das Maxim-Gorki-Theater ihn als Lager. Manchmal hebt sich dann wie durch Geisterhand ein Stück Straßenpflaster, und ein Kasten steigt langsam aus der Tiefe auf. Bühnenarbeiter schieben Kulissen-Teile in den Lastenfahrstuhl und verschwinden damit im Untergrund.